Auf der Zielgeraden

Tag 31

Die Nacht verläuft sehr angenehm und ruhig. Keine Wellen mehr von der Seite, die mich um den Verstand bringen. Kein Wind, der in meinen Ohren pfeift. Und Yuti motort fleißig durchs relativ ruhige Wasser. Die Vögel quietschen schon seit Stunden und tun es auch noch ein paar weitere, bis es hell wird, dann sind sie fort. Auf die Reling setzten sie sich nie, könnten sie auch gar nicht, ihre Beinchen sind nicht dafür konstruiert. Der Kleene, den ich letztens rausgetragen habe, ließ sich ja auch sofort auf sein Bäuchlein fallen und bewegte sich nur mit seinen Flügeln fort. So, jetzt aber! Schichtwechsel! Todmüde torkel ich in mein Bettchen. 😴
Um 4:15 Uhr bin ich zurück, obwohl meine Augen sagen, du spinnst wohl, wir machen noch nicht auf! Aber ich treffe auf einen zutiefst erschöpften und müden Klaus, der nichts mehr groß sagt, sich umdreht und sofort in einen langen und tiefen Schlaf fällt.
Es ist 9:00 Uhr, stockdunkel, Klaus schläft noch, und ich lese mal wieder, pünktlich auf die Minute, den Tacho ab. 19.666 NM sind‘s, und eine uns äußerst bekannte Zahl an Seemeilen, nämlich 167, kommt hinzu. Addiert kommen wir jetzt auf 4.316 Seemeilen, die wir seit Panama zurückgelegt haben. Schon jetzt ist das eine ganze Ecke mehr, als die 4.000 Seemeilen Luftlinie. Nun gut. Als Klaus aus seinem wirklich langen, fast komatösen Schlaf erwacht, sage ich nur noch tschüss und verkrümel mich für 1 1/2 Stunden in mein Bett. Aber ich schlafe unruhig, und ich träume wild. Vielleicht fehlt meinem Unterbewusstsein das Getöse und Gerumpel?? Als ich wieder auf der Bildfläche erscheine, gibt es erstmal eine große Schüssel Frosties mit der letzten Packung Milch. Ganz leergefuttert sind wir aber nicht! Heute werde ich mal wieder Spaghetti kochen, einen Rotkohl köpfen und mit Taucherbrille Zwiebeln schneiden. Beides zusammen wird bei großer Hitze angebraten und mit etwas Sojasauce, Kochsahne und Honig geschmort. Für Klaus gibt’s dann noch eine Tomatensauce obendrauf. Parallel bereite ich noch eine fette Schüssel Schinken-Nudelsalat vor, dass ich morgen ja nicht noch kochen muss. Tja, morgen, morgen könnten wir tatsächlich ankommen und Hiva Oa erreichen. Ich glaub‘s ja noch nicht wirklich… Aber, Mann, was wäre das toll❣️Bis zum Abend könnten wir es schaffen. 🤗 Mit dann 32 Tagen auf See, wären wir immer noch in unserem gesteckten Zeitraum von 4 1/2 Wochen. Wer sagt‘s denn, trotz all der Widrigkeiten. Also Essen haben wir jetzt erst einmal genug. 😋 Und nun können wir uns dem Entsalzen von Yuti widmen. Was beim Wäsche waschen galt, gilt auch hier, wir machen dann lieber gleich nochmal frisches Wasser, auf offener See. Das wird auch nötig sein, denn wir verbrauchen für den Yuti-Waschgang ganze 300 Liter unseres Frischwasservorrates, während wir wackelnd und stolpernd mit Bürste, Schrubber und Wasserschlauch hantieren. Aber auch jetzt fällt keiner von uns ins Wasser. 😅 Morgen mache ich dann noch Großputz im Boot, und ich selber müsste auch noch mal die Dusche besuchen. Wir wollen doch wohl allesamt nicht schmutzig ins Südsee-Paradies einlaufen, oder?
Den ganzen Tag über, bis in die Nacht hinein, auch während meiner Nachtschicht, ist das Wellenbild genauso, wie ich es von andern Überfahrten kennengelernt habe. Schwell von hinten, Wind um die 12, 13, manchmal auch 15 Knoten. Alles schiebt einen nach vorne, die Wellen heben und senken uns, aber eben von hinten! Das ist der entscheidende Unterschied zu Wellen von der Seite! Von hinten können die Wellen ruhig wachsen, es stört uns nicht weiter. Weder uns, noch Yuti, noch unsere Notkonstruktion. Sie hält übrigens immer noch. ☺️ Und so geht es in die letzte Nacht auf See, Klaus versucht zu schlafen und schafft es auf Anhieb. 😴 Ich auch. Häää? Stopp mal! Ich darf jetzt nicht schlafen!! Dann muss ich mir wieder einen Medizin Podcast reinziehen. Dabei geht es um mysteriöse und seltene Erkrankungen, bei denen wie bei einem Krimi gefahndet werden muss, um das Rätsel zu lösen und den Patienten zu retten. Sehr spannende Sache, die mich auch meistens gut wachhält. 🥱

Tag 32

Ankunftstag? Ankunftstag!
Ich komme um 7:00 Uhr wieder in den Salon und muss zu meinem Leidwesen feststellen, die Wellen kommen wieder mehr von der Seite. Och nee, das will ich aber nicht mehr! Es ist aber nunmal so, Klaus dreht sich um und ist augenblicklich eingeratzt. Es sei ihm gegönnt, und ich werde das Gewackel halt auch nochmal aushalten. Und sooo schlimm ist es auch gar nicht. Jedenfalls nicht so schlimm wie an so vielen zurückliegenden Tagen und Nächten! Unsere Notkonstruktion hält immer noch, was mit Abstand eh das Wichtigste ist!!!
Und jetzt müssen wir mal die Uhren umstellen, denn auch um 9:30 Uhr ist es immer noch stockdunkel. Die besagten 5 Stunden? Nein, meint Klaus, nur 4 1/2 ! Französisch Polynesien hat mehrere Zeitzonen. 4 1/2 Stunden auf den Marquesas, 5 Stunden auf Tahiti und den Tuamotus und nur 4 Stunden auf den Gambier Inseln. Französisch Polynesien ist halt riesig. So groß wie ganz Europa und noch mehr… Will ich jetzt wissen, wie spät es in Deutschland ist, muss ich auf meine neu eingestellte Zeit, 10 1/2 Stunden dazu addieren. Also, jetzt, nach Umstellung, ist es plötzlich erst 5:00 Uhr morgens bei uns, und bei denen zu Hause bereits 15:30 Uhr. Na, das gibt jetzt aber in Zukunft eine Rechnerei… So, die Sonne kommt endlich hervor, und je höher sie steigt, desto besser kommen die Wellen wieder von hinten. Prima! Dann kann ich mich jetzt mal dem Bootsputz innen zuwenden. Klaus recherchiert schon mal unsere Ankermöglichkeiten bei Ankunft, da es wohl doch recht spät werden wird, und wir nicht mehr bei Dunkelheit in die flache, schmale Ankerbucht hineinfahren wollen.
Die Sonne strahlt und Yuti nun auch von innen und außen. Bloß die Hulls sehen fürchterlich aus. Grün, gelb und sogar rosafarbener Algenschleim überziehen beide Rümpfe oberhalb des Antifoulings. Dann, um 11:14 Uhr neuer Zeit, sieht Kläusi Land❣️ 📢 LAND IN SICHT 🔊!!! Ich brauche noch 2 Minuten, bis ich die zarte Silhouette eines „Maulwurfshaufens“ erkennen kann. 🤗

Hier ist noch nichts zu sehen, auch Klaus sieht nichts.
So sieht es auf dem Plotter aus. Lange kann es nicht mehr dauern!
Daaaa, der Hügel, das Kap von Hiva Oa ❣️

Wie aufregend!!!!! Nach 4 1/2 Wochen, sehen wir zum ersten mal wieder Land. Und es kommt näher 😃, oder wir?

Auch ein Fischerboot kommt immer näher und fährt auf Kollisionskurs, mal wieder. 🙄 Aber irgendwie erfreuen wir uns auch daran, denn auch dieses Fischerboot ist das erste, was wir real nach so langer Zeit zu sehen bekommen.

Und es verändert auch noch rechtzeitig seinen Kurs und kommt uns nicht in die Quere.

Hiva Oa verschwindet in einer Wolke, die sich redlich müht, über sie hinweg zu kommen. Da hilft nur eines, abregnen. Das Klima gefällt uns schon mal sehr gut! Nicht zu kühl, nicht zu warm und vor allem nicht so schwül, wie wir es noch aus Panama in Erinnerung haben. Die Stimmung steigt.

Hey, du sollst mich doch nicht immer fotografieren!, beschwert sich Klaus lachend.

Wir sollten lieber die Sprache der Einheimischen lernen! Auch wenn nur noch wenige Polynesier ihre alten Dialekte sprechen. Französisch ist die unumstrittene Nationalsprache. Dennoch, wenigstens 2 Wörter:

Ka oha = Guten Tag und Kou tau = Dankeschön

Das ist Polynesisch, aber im Dialekt der Marquesas. Jede Inselgruppe hat da wieder ihre eigene Dialektik, die aber drohte verloren zu gehen. Seit den 80er Jahren versucht man sie wieder mehr in Erinnerung zu bringen und zu beleben.

Schau mal, dahinten links die Insel, mit dem vorgelagerten Katzenkopf…

Die Sonne geht unter, diesmal hinter den Inselketten. Schön sieht das aus❣️

Bei diesem Anblick kommt mir sofort die Fahne Französisch Polynesiens in den Sinn, mit ihrem Wahlspruch, „Großes Tahiti des goldenen Dunstes, Tahiti Nui Mare‘ are‘a“. Tahiti ist die Hauptinsel, mit der Hauptstadt Papeete, für ganz Französisch-Polynesien.

Und was darf auch nicht fehlen? „Liberté, Égalité, Fraternité“, der Wahlspruch der Franzosen. Apropos Flagge! Wir müssen noch die alte von Panama bergen und die neue für die Marquesas hissen. Ja, wir haben sogar die Regionalflagge dieser Inselgruppe dabei.

Das Gesicht einer alten Steinfigur, eines Tiki.

Das ist ja noch gar nicht die Marquesas Flagge, das ist die Quarantäne Flagge. Jepp die Marquesas Flagge darf ja auch erst nach erfolgter Immigration gehisst werden. Aber schau dir mal die Panama Flagge an…

Völlig zerfetzt! 🤭 Das ist der pure Beweis für die Wetterstrapazen der zurückliegenden Zeit, oder der, für die schlechte Qualität der Flagge. Oder beides!
18:30 Uhr, die Sonne geht unter…

zwischen den Bergen, hinter den Meeren. Und schwupps ist es dunkel, wir sind noch nicht da, wo wir nachher ankern wollen, aber ein glitzernder Sternenhimmel breitet sich über uns aus. Sehr, sehr schön. 🤩 Auch so einen beeindruckenden Anblick hatten wir schon lange nicht mehr. Auf unserer Passage war der Himmel meistens bewölkt und Sterne ließen sich kaum blicken. Ich soll zwar jetzt besonders gut aufpassen, dass wir in der Dunkelheit nichts und niemanden übersehen, aber mein Blick wandert immer mal wieder nach oben, zum wunderschönen Firmament. Und dann nehme ich es wahr. Einen Geruch, nein einen Duft. Einen Duft nach Nadelbäumen mit einer ganz leichten Rauchnote. Mmm, riecht gut. Es fällt mir ein, dass auch schon andere Segler davon erzählten, das Land schon zu riechen, welches sie im Begriff waren zu erreichen. Mir war das bisher noch nicht passiert. Aber jetzt! Und dann wechselt der Duft, wir sind gleich da, und ich schnuppere einen wunderbaren Blumenduft. Das ist ja toll❣️Vielleicht ist mein Geruchssinn bei Dunkelheit geschärfter? Nun aber Konzentration, bitte! Wir sind da, ich laufe mit Taschenlampe 🔦 vor zum Anker, Anker fällt, Anker sitzt und zwar am Manta Point. Juhuu 🙌 ! Wir schlagen ein und sind überwältigt.

Wir haben es geschafft, wir haben es geschafft und zwar mit Mast‼️‼️‼️ Der Mast steht, die Notsicherungen haben gehalten und sollen auch noch weiter halten, bis, ja bis Ersatz eintrifft. Das kann aber noch dauern. Alles egal jetzt, morgen tuckern wir gerade noch ein paar hundert Meter gerade rüber in die offizielle Ankerbucht und starten unser Pflichtprogramm. Einklarieren und so weiter…
Aber eben muss ich doch noch mal nach unserem abschließenden Meilenstand schauen. Wie sieht’s denn aus? Aha, 19.949 Nautische Meilen werden mir angezeigt. Doll, fast 20.000, sooo viele Seemeilen sind wir seit Vietnam gesegelt, motort, getuckert und gesaust. Und von Panama bis zu den Marquesas Islands, bis zur Insel Hiva Oa, haben wir non stop 4.599 Seemeilen zurückgelegt und überwunden.

Wirklich nicht schlecht. Nun geht es in eine kurze, etwas unruhige Nacht. Hält der Anker? Wie sieht unser Ankerplatz überhaupt aus, wir hören nur die Brandungen an den uns umgebenden Bergen, und, wir sind natürlich noch voller Adrenalin. 😅 Ein letzter Blick auf die glitzernden Lichter der Häuser der Bucht, dann hüpfe ich in meine Koje. Gute Nacht mein super toller Kapitän. 😘 Gute Nacht meine tolle erste Offizierin, mit den stählernen Nerven. 😘

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